Es zischt. Es dampft. Und dann sieht man die Hand nicht mehr vor Augen. Was sich regelmäßig brodelnd im fränkischen Altenkunstadt zuträgt, ist eine höchst ausgefallene Art des Brauens. Glutheiße Steine lassen Bierwürze aufbrodeln und mehr als sonst riecht es dann in weiten Teilen des Ortes nach Malz, Geschichte und Tradition. Tauchgang zum Ereignis Steinbier, zu einem gebrauten Crème-brûlée-Effekt und einem europäischen Erbe.
Die Geschichte - Steinbier aus Altenkunstadt
Altenkunstadt ist eine Gemeinde in Oberfranken/Nordbayern. Chirurgen und Numismatiker gehören zu den Söhnen der Stadt, man liegt auf 292 m über Normalhöhennull und hat 5450 Einwohner, jedenfalls so ungefähr. Man gehört zu einer „Genussregion“ und das kommt nicht von ungefähr. Die Biertradition hier ist enorm, alt, sehr alt. Der Gegend, der Altenkunstadt angehört, sagt man die höchste Brauereidichte weltweit nach. Die Menschen hier sind im Regelfall fleißig und alles geht hier seinen geordneten Gang. Bis auf manchmal, so alle acht Wochen, wenn die üblichen Brauprozesse der Brauerei Leikeim zugunsten eines Verfahrens ruhen müssen, das so alt zu sein scheint, wie die Menschheit selbst. Die Rede ist vom Steinbier und davon, wie sich Hitze und Steine unter Aufsicht an der Brauwürze zu schaffen machen. Was dann am Ende in Flaschen abgefüllt wird, ist herzhaft, kernig, ein Bier für deftige Speisen und vollmundiges Erleben, aufgehoben in Geschichte und Seltenheit. Doch wenn der passionierte Motorradfahrer und Brauer Ulrich Leikeim nicht einst offenen Auges durch österreichische Lande gefahren wäre, dann hätte die von ihm entdeckte Rarität keine zweite Heimat in Franken gefunden.
Es war um 2006/07 herum, als der damals 50-Jährige auf sein Motorrad stieg, um eine Erinnerung zu finden. Geraume Zeit vorher wurde ihm ein Bier serviert, welches anders war als die gewohnten Biere - irgendwie satter, würziger, gleichzeitig aber auch mit einer unleugbar süßen Note von Karamellhaftigkeit. Da war sie da, die Neugierde auf das reichlich Unbekannte und sie kam zur rechten Zeit, stand die Brauerei doch im Jubiläumsjahr. Man wollte eh mal „ganz was anderes“ machen. „Die Idee zu Kellerbier kam auf, aber das machten ja schon etliche Brauereien, wir wollten aber was in Richtung Besonderheit und Innovation“. Ulrich Leikeim erinnerte sich eines Mannes namens Roland Sünkel. Er war Brauer und einer, der viel gesehen hatte und wusste. Jedoch nur „ein bisschen was“ sei dabei rausgekommen, so wie die Nennung einiger weniger weiterer Adressen und Namen, bei denen man vielleicht was über Steinbier in Erfahrung bringen könnte. Doch alles in allem blieb es mager. Eine Ahnung aber hatte sich verdichtet: „Dieses Bier gibt es in Österreich und in Skandinavien.“ Mit diesem Instinkt fuhr Leikeim über die österreichischen Passstraßen, hielt die Augen offen, kam mit Menschen ins Gespräch. Dann, irgendwann, so etwas wie ein kleiner Durchbruch. „Ich bin auf Kärnten gestoßen, auf den Wörthersee. Dort, auf seiner Westseite, ist eine größere Stadt und dort war mal eine Brauerei, die bis in die 50er-, 60er-Jahre Steinbier gemacht hat, dann aber verkauft worden ist.“ Hier kam Leikeim mit jemandem ins Gespräch. „Als Braumeister darf man ja oft mal wo reinschauen, im Kaufmännischen ist eher Konkurrenzdenken da, doch in einem technischen Bereich funktioniert so etwas schon mal. Aus dem Indiz, dass hier einmal Steinbier gebraut wurde, wurde nun Gewissheit. Doch es bedurfte einer weiteren Begegnung, um das Thema greifbarer zu machen. Irgendwo in einer Hausbrauerei geriet Leikeim an einen Mann, der davon sprach, dass die Steine für das Brauen von Steinbier doch aus Granit seien und wohl aus der Nockalmer Gegend kämen. Hier ein Puzzleteil, dort ein Puzzleteil, hier eine Bemerkung, dort ein Brauereimuseum – Kilometer um Kilometer kam Ulrich Leikeim voran, sammelte Informationen, Notizen, Vermerke. „Quellen anzapfen“, nennt Leikeim das rückblickend launig trocken.
Was der Mann zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß, sind all die Dinge, die dieses Bier so vielfältig außergewöhnlich machen. Leikeim geht in der Geschichte um 3700 Jahre zurück und damit hält er sich in der Bronzezeit auf. In ihr hatte der Mensch schon verstanden, dass er Flüssigkeiten erhitzen kann, indem er ihnen heiße Steine zugibt. In die Holztröge, die Lehm- und Steinbottiche. So wurden die Temperaturen zum Maischen von Bier erreicht. Doch jetzt hatte es der Mensch mehr und mehr auch mit Metall zu tun. Das Wissen darum, dass man Bier mittels heißer Steine erhitzen kann, wird er auch in die Eisenzeit mitnehmen. Es wird sich von der Eisenzeit über die Antike, das Mittelalter und die Neuzeit erhalten. Aber dieses Wissen wird sich zerstreuen und an den allermeisten Stätten in Vergessenheit geraten. Am längsten, so erfährt man über die in Berlin ansässige Gesellschaft für Geschichte des Brauwesens e.V. (GGB), wird es sich in der Steiermark und in Kärnten halten.
Irgendwann, so erzählt Ulrich Leikeim, ging es ans Tüfteln. Denn was sich zu diesem Brauerbe der Menschheit nirgends auftreiben ließ, war ein Lehrbuch. So stand man da und musste Feldforschung betreiben. Also welche Steine eignen sich? Wie heiß dürfen sie werden und welche Vorrichtungen muss man eigentlich wie bauen? „Wir haben es in Miniaturformat geprobt, wir haben ganz kleine Steine genommen und mit einem Gasbrenner sie und einen Liter Bier heiß gemacht. Wir wollten sehen, was da passiert.“ Und wieder kam das Motorrad zum Einsatz, denn war er mit ihm unterwegs, so hielt er auch an, stieg ab und sammelte alle möglichen Steine ein. Er fuhr mit Motorrad und Auto auch Empfehlungen hinterher, dorthin, wo es Basalt geben mochte. Da er sich mittlerweile mit Gesteinskunde befasste, wusste er um dessen vulkanischen Ursprung. Mittlerweile hatte man sich von einem befreundeten Hobby-Schmied dessen Esse geliehen und damit rumprobiert. Auf über 800° sollten Steine heiß werden und nicht wenige sind zerborsten und geradezu „explodiert“. Doch irgendwann fuhr Leikeim ins Fichtelgebirge und einer Empfehlung hinterher. Dort stieß er endlich auf Granit und irgendwann auf den passenden Granit. Aber das war nur die halbe Miete, die andere Hälfte bestand in der Lösung der Frage, wie viel Wärme Steine eigentlich speichern können, was das umgerechnet auf eine Sudpfanne von 10 000 Litern bedeutet und wie und wo man diese Steine überhaupt erhitzt. Es musste ein auszumauernder Holzofen gebaut werden. Und ein Metallkorb. Beteiligt daran waren jetzt auch die Betriebsschlosser der Brauerei. Man zog an einem Strang.
Alle acht Wochen, so ungefähr, wird nun ab den frühen Morgenstunden und 40 m von der Sudpfanne entfernt, ein gemauerter Ofen befeuert. Mit einem Spektralthermometer wird die Temperatur ermittelt und liegt sie bei 800° Celsius, dann macht man sich daran, den glühend heißen Korb aus dem Ofen zu heben, ihn ans Sudhaus zu verbringen und mittels Seilzug in die Sudpfanne abzusenken. Die Feuerwehr, so wie einstmals bei diesem extrem zischenden und dampfenden Vorgang wirklich geschehen, verständigt heute niemand mehr im Ort. Man weiß was geschieht, man riecht es ja. Hier wurde wieder etwas gebraut, was Menschen vor langer Zeit ersannen und was seinen außergewöhnlichen Geschmack durch alle Zeiten hindurch beibehalten hat.
Autor: Markus Häggberg